Ein Blick über den Inselrand nach Gran Canaria

ein Gastbericht von Siegbert Heid

Man fühlt sich auf Fuerteventura so wohl, dass es eigentlich keinen Grund gibt, die Insel zu verlassen. Gleichwohl reizt das Neue, das Unbekannte. So lag es nahe, einer Reise nach Fuerte vorher eine Woche Besuch auf Gran Canaria voran zu stellen.

Eine exzellente Grundlage dafür ist das Hotel „Santa Catalina“ in Las Palmas. Listigerweise liegt es allerdings nicht, wie anzunehmen ist, im Stadtpark Santa Catalina, sondern einige km davon entfernt. Wer – wie wir – mutig auf das Taxi verzichtend vom Flughafen den direkten Bus zum Park wählt, steht anschließend etwas verloren auf dem großen Platz. Das Hotel, in dem einst auch Winston Churchill logierte, ist nicht zu finden. Von einer freundlichen Dame im Informationsbüro erfuhren wir, dass das „Santa Catalina“ nicht um den gleichnamigen Park herum liegt, sondern in einem anderen Park, dem „Parque Doramas“. Gleichsam die Unlogik unterstreichend warnte sie uns vor der Suche nach der Klinik „Santa Catalina“. Die läge nämlich wieder woanders.

Kurzum, das Hotel liegt in einem ruhigen Stadtteil der ansonsten so lebhaften Stadt. Das Viertel prägten seit Mitte des 19. Jahrhunderts wohlhabende Engländer. Sie entdeckten, dass es viel angenehmer sei, hier den Winter zu verbringen als im fiesen nebligen und nasskalten England. So hat das Viertel seinen englischen Charme bis heute erhalten.

Das phantastische System der städtischen Guaguas ( Busse) erschließt die quirligen Stadtviertel mit den Geschäften, die Fußgängerzonen und alle weitläufigen Stadtviertel um den historischen Kern – der „Vegueta“ – herum. Die Barrancos (trockene Flusstäler, die nur bei Regen Wasser oft mit zerstörerischer Kraft führen ),die die Hügel und Berge um die Stadt zerschneiden, lassen die urbanen kommunalen Probleme einer Stadt mit fast 400000 Einwohnern und dem viertgrößten Hafen Spaniens, erahnen.

Benutzt man diese städtischen Busse, kommt man unweigerlich am schönen Gebäude der Stadtbibliothek vorbei. D.h., das hätte sie einmal werden sollen. Aber die Trottel bei Bauunternehmen und städtischer Verwaltung müssen sich alle zusammen getan haben. Als der Bau fertig war, stellte man fest, Ups, wir haben auf dem falschen Grundstück gebaut, denn das nun mit der Bibliothek bebaute Grundstück gehört völlig anderen Personen. Warum von denen niemand Alarm geschlagen hat, ist mir schleierhaft. Ein Motiv, das wenig ehrenhaft wäre, könnte ich mir denken. Die Eigentümer verklagten prompt die Stadt. Vor ca. 2 Jahren hat dann der oberste kanarische Gerichtshof in einem höchstrichterlichen Urteil den Abriss des wunderbaren Gebäudes verfügt. Dann herrschte in den Zeitungen zunächst einmal Ruhe.

Das ist nicht neu auf den Kanaren. In Puerto del Rosario (Fuerte) war das Einkaufszentrum „Las Rotondas“ mit einer Verkaufsfläche von 22.000 qm genehmigt. Dann waren „ interessierte Kreise“ am Kungeln, so dass der Architekt anscheinend den Überblick verlor. Heraus kamen letztendlich stattliche 42.000 qm Verkaufsfläche. Der örtliche Einzelhandel, der dagegen klagte, bekam vor dem obersten Gericht schließlich Recht. Auch hier ordnete das Gericht den Abriss an. Das lässt aber alle kalt. Der Betrieb geht einfach seit Jahren weiter.

In Las Palmas muss es aber jemand gegeben haben, der „schlafende Hunde“ weckte. Auf einmal stand das Thema Bibliothek im November 2014 täglich in der Zeitung. Da ein Abriss eigentlich unvorstellbar ist, erklärte jüngst der Bürgermeister, er habe einen „Plan B“. Kein Mensch weiß aber, was er damit meint. Alle sind gespannt, wie es bei diesem theaterreifen Stück weitergeht und was man sich wegen „Las Rotondas“ auf Fuerte noch einfallen lässt. Das erklärt, warum die Majoreros (Einheimischen ) gegen Ratschläge aus Madrid – und seien sie noch so vernünftig -, so allergisch sind. Sie mauscheln und tricksen lieber unter sich. Von helfenden Hinweisen von uns „Gringos“ einmal ganz abgesehen. Aus zuverlässiger Quelle habe ich jetzt erfahren, dass des Bürgermeisters „Plan B“ in einer „Umwidmung“ besteht. Es wird auf eine Enteignung gegen eine saftige Entschädigung hinauslaufen. Dafür geht dann ein anderes kostspieliges Bauverfahren in Las Palmas in den ach so geliebten „retraso“ (Verspätung). Damit wird aber der Haushalt einigermaßen eingehalten. Das durch „Retraso“ gesparte Geld wird für das dringlichere Projekt ( z.B. Bibliothek) eingesetzt und das scheinbar weniger dringliche frühestens erst ein Jahr später zu Ende geführt.

Diese Probleme hatten die Militärs nicht, die für die spanische Krone Anfang des 14. Jahrhunderts die Kanaren eroberten und dabei die Guanchen, die Ureinwohner, massakrierten. Die Altstadt – die Vegueta – bietet noch heute interessante Einblicke in die historische Vergangenheit. Neben der Kathedrale finden wir gleich in der Nähe das „Museo Canario“ mit der Erinnerung an die Guanchenkultur, das historische Theatro Galdos und das Haus von Christoph Kolumbus. Las Palmas war vom spanischen Festland aus die wichtige Zwischenstation für die Mitnahme von frischem Wasser und Verpflegung. Von hier startete er zu seinen Entdeckungsfahrten, mit denen er der spanischen Krone ein Weltreich zu Füßen legte. Seit langem gibt es auch die historische Markthalle, Mercado de Vengueta, die die Fruchtbarkeit der Insel widerspiegelt. Eine Frische und Vielfalt wird angeboten, die auf Fuerteventura eher nur ansatzweise erhältlich ist.

Kurzum, Las Palmas ist aktuell wie historisch eine offene und reizende Stadt. Sie gefällt. Dabei ist der nahe gelegene „Las Canteras“-Strand mit seiner breiten 5 km langen Promenade ein besonderes Erlebnis. Internationaler geht es eigentlich nicht. Stand und Promenade schließen mit dem beeindruckenden Bau des „Auditorio Alfredo Krauss“ ab. Krauss war der bekannteste Tenor seiner Zeit. Leider fand während unseres Besuches keine Veranstaltung statt, so dass uns das Innere verschlossen blieb.

Unbedingt sehenswert ist auch der „Jardín Botanicó“. Hier sind die kanarischen Ökosysteme nachgebildet. Von den Palmenoasen der Küste bis zu den Lorbeer- und Kiefernwälder der Gipfelregionen ( im Innern der Insel bis knapp unter 2000 m) ist alles vertreten. Der Engländer David Bramwell verwirklichte vor ca. 100 Jahren seinen Traum. Dabei kam kein englischer Garten, wohl aber der größte spanische botanische Garten heraus.

Zwar lassen sich mit den Überlandbussen alle Regionen der Insel erreichen, aber im Inselinnern sind die Querverbindungen dünn. Man käme zwar hin, aber nicht mehr zurück. Hier hilft ein Leihwagen. Die erste Fahrt führte uns auf der Autobahn an den Ferienorten Playa del Inglés und Maspalomas vorbei nach Arguinegin. Von dort aus messen sich ambitionierte Radler mit den Bergen. Es geht steil auf der GC 505 im Barranco den Berg hinauf. Die Kurven werden immer enger, die Strecke wird immer steiler bis der Stausee „Soria“ erreicht ist.

Die Querstraße GC 605 in Richtung Mogán verbietet das Befahren mit dem Rad. Die steilen engen Kurven von der Passhöhe hinab sind viel zu gefährlich. Versagen einmal die Bremsen, geht es im freien Fall mehrere hundert Meter in die Tiefe. Das gilt natürlich auch für den Autofahrer. Aber irgend jemand muss man ja fahren lassen. Sonst hätte die Straße keine Berechtigung. Von Leitplanken hat man abgesehen.

Das in den Bergen liegende Mogán, als nächster erreichbare Ort schon weit im Tal, bestimmt, wo es an der Tourismusküste in diesem Abschnitt um Puerto de Mogán lang geht. Dort leben die, die mit dem Verkauf ihrer sandigen Grundstücke zu Millionären wurden. Das bekommen allerdings die normalen Touristen nicht mit. Auf der GC 1 fährt man zügig an den anderen Ferienorten und am Flughafen vorbei wieder nach Las Palmas.

Maspalomas und Playa del Inglés kann man vergessen. Den schönen Strand mit seinen sehenswerten Dünen sollte man bei einem Besuch aber genießen. Der Weg zu den Hotelanlagen geht aber vom Strand durch eine Fußgängerzone mit Kneipe an Kneipe und anderen Volksbelustigungen, von denen spanische Geschäftsleute glauben, die würden den Gästen gefallen. Es macht unbehaglich, wenn Kellner einem mit Speisekarten in der Hand nachlaufen und mit Schlagworten wie „Gutt Preis, gutt Preis“ oder „Gutt Freund, lucki, lucki gutt Freund“ nerven. Den Touristen, die sich am helllichten Tag Biergelage leisten, macht das offensichtlich aber nichts aus.

Eine zweite Fahrt führte über Santa Brigida – Vega de San Mateo – Tejeda auf den Straßen GC 60, GC 606 und GC 210 nach La Aldea de San Nicolás. Bevor ein Leser diesen Ausflug nachfährt, sei aber darauf hingewiesen, dass es hilfreich ist, wenn zumindest der Fahrer schwindelfrei ist. Jedenfalls sollte dieser Tag die Abenteuerlichkeit des vorhergehenden noch übertreffen.

Dabei zeigt sich die Topographie anfangs noch ganz harmlos. Man genießt die unglaubliche Fruchtbarkeit der Insel, gepaart mit der wohlhabenden Gelassenheit der Kommunen an der Strecke.

Um Tejeda warnen die wie Finger aus den Felsen in die Höhe ragenden Roque Bentayga und der Roque Nublo vergebens vor der Weiterfahrt. Die Straße wird nun immer schmaler in den Bergen. Begegnen sich Autos, kommen sie nur an extra angelegten Ausweichstellen aneinander vorbei. Zum Glück kamen nur wenige auf die Idee, an diesem Tag von der anderen Seite die Straße zu befahren. Unversehens waren dann auch die Kurven nicht mehr einzusehen. Einige waren so eng, dass man fast gezwungen war, in der Kurve zurück zu stoßen, um letztendlich herumzukommen. An diesen Stellen gab es endgültig keine Ausweichmöglichkeit mehr. Lautes Hupen sollte unser Ankommen signalisieren. Das war suboptimal, weil das Echo in den Schluchten eine Ortung nicht zuließ. Ein ebenfalls Hupender kam uns entgegen. Es war nicht zu beurteilen, ob er noch einen Km weg war oder in der nächsten Kurve vor uns stünde. Aus Vorsicht war eine kleine Verschnaufpause willkommen, bis der Entgegenkommende vorbei war.

Zentimeter neben dem Abgrund und ebensoviele Zentimeter am blanken Fels ohne jegliche Sicherung verhinderten die Würdigung der großartigen Landschaft. Tags darauf mussten wir in der Zeitung lesen, dass ein aus diesen Bergen stammendes Ehepaar mit ihrem Autoca. 300 Meter im freien Fall abstürzte und nur noch tot geborgen werden konnte.

Die Erleichterung war uns anzusehen, als wir schließlich den Stausee „ Embalse de la Cueva de los Ninos“ erreichten. Wir glaubten, das Schlimmste sei überstanden. Das war ein Irrtum, denn es wurde noch schlimmer, die GC 606 noch extremer.

Eine noch nie erlebte Schweigsamkeit zeichnete meine Beifahrerin aus. Ich konnte das nicht genießen, weil die nächste der unzähligen Serpentinen die vollste Konzentration erforderte. Die berüchtigten Haarnadelkurven in den Alpen sind dagegen ein beruhigendes Freizeitvergnügen. Die Straße ermöglicht andererseits atemberaubende Ausblicke in die Höhe und furchterregende Einsichten in die Tiefe, von denen man sich nur Zentimeter entfernt fortbewegte. Erst die Straße im Barranco de Aldea senkte den Blutdruck etwas, ohne allerdings Normalmaß zu erreichen. Dann aber öffnete sich das Tal von La Aldea, gleichsam eine fruchtbare Oase zwischen Fels und Meer. Riesige Tomatenplantagen versorgen von hier ganz Europa mit kanarischen Tomaten. Der einzige sichere Zugang bis heute ist für den gemütlichen Ort der Zugang über das Meer. Auf der Straße, auf der wir kamen, kann kein Lastwagen fahren. Ebenso abenteuerlich ist die Straße von Mogán aus, die wir aber nicht befuhren. Das wollten wir uns dann doch nicht antun. Als dritte Möglichkeit, den Ort zu erreichen, bietet sich noch die Küstenstraße an. Das ist eine herrliche Panoramastraße, die aber wie in den Alpen bei Lawinengefahr, bei Regen gesperrt ist. 33 Personen verunglückten in den letzten beiden Jahren tödlich. Die oft tonnenschweren Felsbrocken auf den steilen Berghängen werden vom Regen gelöst und zermalmen alles, was sich darunter bewegt. Netze helfen nicht. Die mit Schmackes nach unten rasenden Steinmassen hält nichts auf. Es sind nur 40 km nach Agaete. Aber die haben es in sich. Glücklicherweise befuhren wir die GC-200 an einem schönen Tag. Sie belohnte uns mit phantastischen Panoramen. Fachleute zählen diese Küstenstraße zu den schönsten Straßen der Welt.

Die Regenfälle im Dezember 2014 lösten aus den Felsen eine Unmenge an Gestein. Über eine Woche war die Straße unpassierbar. Wir haben die dramatischen Fotos in der Zeitung gesehen. Zwei Tage zuvor waren wir genau dort überall unterwegs.

Für mehr als 100 Mill. € aus EU-Mitteln soll jetzt eine neue Trasse mit Tunnels die Verbindung allwetterfähig machen. Niemand weiß, wie lange das Verfahren dazu laufen wird und welche Bauunternehmer, Politiker und Lobbyisten sich daran erst einmal eine goldene Nase verdienen. Die Rückfahrt ab Agaete auf der vierspurigen GC-2 war anschließend die reinste Erholung.

Mir bleibt die Erinnerung an den Mitarbeiter der Autovermietung. Als er den Wagen lieferte, zeigte ich ihm alle Kratzspuren und Dellen rund um das Auto. Zu seiner Verblüffung waren keine neue hinzugekommen. Die einbehaltene Garantiesumme musste er wohl oder übel zurück zahlen.

Der Taxifahrer, der uns nach einer erlebnisreichen Woche zum Flughafen brachte, war von unseren Erlebnissen so beeindruckt, dass er uns einen Rabatt gewährte. Da er der Meinung war, Fuerte sei ebenso neu für uns, gab er den Hinweis mit auf den Weg, die Straßen dort seien so breit, dass man quer auf ihnen fahren könnte. Da ich diese Technik noch nicht beherrsche, habe ich noch keinen entsprechenden Versuch gestartet.

Siegbert Heid, 05.12.14

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Ein Blick über den Inselrand nach Gran Canaria
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Ein Blick über den Inselrand nach Gran Canaria
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In diesem Reisebericht beschreibt Siegbert Heid eine Rundreise auf der fantastischen Kanareninsel Grand Canaria
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