Indien

Tagebuch einer Reise durch Nordindien – ein Reisebericht

Yogalehrling

 

Vorgeschichte

Indien war für uns Weltenbummler bisher noch ein weißer Fleck auf der Weltkarte, was allerdings an mir lag, da ich vor diesem Land immer gehörigen Respekt hatte, was die gesundheitlichen Gefahren betreffen.

Nach unserer diesbezüglich problemlosen Ägyptenreise im letzten Jahr, habe ich Mut gefasst und Barbara mit dem Vorschlag einer Reise durch Nordindien überrascht.

Wir haben uns schliesslich zu einer 14 tägigen Reise mit dem Schwerpunkt Rajasthan entschlossen, mit den Stationen New Delhi, Agra, Nationalpark Ranthambhore, Jaipur, Udaipur und Bombay. Barbara flog von Bombay zurück, während ich nach Calcutta weiterflog, wo ich mich mit meinem Kunden „Teekampagne“ aus Berlin traf, um die indischen Seiten des Teegeschäftes besser kennen zu lernen.

Den touristischen Teil der Reise haben wir möglichst individuell und luxuriös gestaltet, d.h. wir beide wurden als Privatreisende von der renommiertesten Reiseagentur Indiens betreut und begleitet und stiegen in den besten Hotels und Ressorts ab, um immer eine angenehme Rückzugs- und Erholungsmöglichkeit zu haben.

Dieses Konzept hat sich voll bewährt, wir wurden von Ort zu Ort quasi weitergereicht an die örtlichen Reiseleiter und hatten zudem für den Grossteil der Reise ein eigenes Auto mit Chauffeur zur Verfügung. Die Oberoihotels erfreuten uns durch aussergewöhnliche Kundenfreundlichkeit und waren nach anstrengenden Erlebnissen Oasen der Ruhe und Erholung.

Die umfangreiche Reiseapotheke haben wir zum Glück nicht gebraucht – Dank eigener Vorsicht beim Wasser und dem Verzicht auf Ungekochtes (cook it, peel it or forget it) und dem Wundermittel Medifex, das uns zur Vorbeugung gegen Magen-/Darmprobleme von Reiseprofis empfohlen wurde. Ein Schluck Whiskey nach jedem Essen konnte auch nicht schaden. Obwohl empfohlen, haben wir keine Malariaprophylaxe vorgenommen, sondern uns auf die inzwischen wirkungsvollen Standby-Medikamente verlassen, die wir aber glücklicherweise nicht brauchten.

 

1. Tag (23.12.2004)

Tagflug über Wien nach New Delhi, der Flug dauerte von Wien aus nur 6,5 Stunden, der Zeitunterschied besteht aus 4,5 Stunden.

Während des Fluges sahen wir zur Einstimmung den phantastischen Tierfim „Zwei Brüder“, der von den Abenteuern eines asiatischen Tigerbrüderpaares handelte und uns viel Vorfreude bescherte auf unsere geplante Photosafari im „Tigerpark Ranthamhore.

Am Flughafen von Delhi erhielten wir zur späten Stunde einen ersten Eindruck vom bunten, exotischen Indien, als wir durch ein Spalier erwartungsvoller Menschen in bunten Gewändern schritten, die uns Schilder mit fremden Namen so lange vor die Nase hielten, bis wir am Ende der Schlange erleichtert unseren Namen lasen. Ein lokaler Führer nahm uns in Empfang, stellte uns unseren „Dienstwagen“ nebst indischem Fahrer für die nächsten Tage vor, der voller Stolz seinen in Indien nachgebauten Oldie, Marke Vauxhall präsentierte, mit starkem Toyotamotor, wie sofort betont wurde.

Wir kamen nachts um 23.00 Uhr im prachtvollen Hotel Imperial an, erhielten gnadenlos das Briefing für die nächsten Tage und durften dann zu später Stunde erstmals die indische Küche, „Chicken Tandoori“, geniessen.

Nach kurzer Nacht begann der 2.Tag (24.12.2004) mit dem Treffen unseres Führers Vikram, der, wie sich bald herausstellte, der Kriegerkaste angehört und einer Adelsfamilie aus Jaipur entstammt. Ausgestattet mit einem gesunden Selbstbewusstsein und exzellenten Deutsch- und Deutschlandkenntnissen begleitete er uns die nächsten 2 Tage in New Delhi.

Bei der Fahrt durch das von den Engländern gebaute neue Delhi prallen die Gegensätze Indiens noch sehr gemässigt aufeinander: Prachtstrassen, chaotischer Verkehr, Smog und Nebel, am Strassenrand Obdachlose neben fröhlichen Schulkindern in bunten Uniformen, dazu Geschäftsleute, Beamte und farbenfroh gekleidete Frauen, die zielgerichtet zur Arbeit gehen, wie in jeder Hauptstadt der Welt. Breite Strassen mit viel Grün und Bäumen, moderne Hochhäuser und eine vertraute Architektur aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts mildern den erwarteten Kulturschock. Die Briten verlegten 1877 den Regierungssitz von Calcutta nach Delhi und ergänzten Delhi baulich um Neudelhi.

Dann sind wir plötzlich in einer anderen, längst vergangenen Welt – dem Qutb-Minar Komplex, der seinen Ursprung 1193 hat, als der Grundstein des islamischen Sultanats mit dem Bau einer Moschee gelegt wurde. Die wunderschöne und noch relativ gut erhaltene Anlage zeigt sehr anschaulich die Verschmelzung von islamischen, persischen und Hindubaustilen, am ausgeprägtesten am fünfstöckigen Siegesturm. Dessen Verzierungen und Balkone vereinen friedlich Koranverse und Hindusymbole und lassen nichts von den früheren blutigen Auseinandersetzungen ahnen. Wir schlendern durch die Säulengänge mit Kuppeln und Bögen, stossen auf Mausoleen und Gräber, auf ausgetrocknete Brunnen und riesige Neenbäume voller wilder Papageien. Diese Bäume enthalten in den Blättern viele Heilmittel, weshalb sie von den Vögeln wohl als Apotheken genutzt werden.

Am Faszinierendsten sind aber die Menschen, vor allem die anmutigen, farbenprächtigen Frauen. Der rote Punkt auf der Stirn (oder die rote Farbe im Haar) kennzeichnen verheiratete Frauen, während er beim Mann nur aussagt, dass er gerade einen Tempel besucht hat. Allerdings mutiert bei den jungen Frauen der Farbklecks zum vielfarbigen, auf die Kleidung abgestimmten modischen Attribut. Mit dem Thema der bröckelnden Traditionen bei der jungen Generation werden wir uns im Laufe der Reise noch öfter beschäftigen.

Die vielfarbigen Schulkinder, die in ihren strengen Schuluniformen fröhlich, aber sehr diszipliniert unterwegs sind, verstärken den ersten Eindruck eines entspannten, freundlichen Nebeneinanders der Rassen und Kulturen – Leben und Leben lassen nennt Vikram als wesentlichen Teil der Hindureligion, verbunden mit einer gewissen Passivität und fehlenden Aggressivität , die früher im kriegerischen Konfliktfall und heute im stürmischen wirtschaftlichen Veränderungsprozess auch Nachteile mit sich bringen.

Wir setzen unsere Besichtigung der Zeugnisse früherer Kulturen mit dem Besuch von Humayuns Grab fort, dem ersten prächtigen Mogulmausoleum aus dem

16. Jahrhundert, das Vorbild für den späteren Bau das Taj Mahal werden sollte und unsere Vorfreude auf Agra verstärkt. Der riesige Komplex besticht nicht nur durch den wunderschönen Bau mit imposanter Marmorkuppel, sondern auch durch den künstlich bewässerten Paradiesgarten, in dem das Grabmal liegt. Auch hier nimmt fröhliches Schülergeschrei dem Ort den Ernst eines Grabmals.

Zum Abschluss des Vormittags folgte die Fahrt in die koloniale Pracht des Regierungsviertels, mit Parlament, Ministerien und dem Rashtrapati-Palast, in dem einst der englische Vizekönig und heute der indische Präsident residierten. Hier hat man das Gefühl, im Herzen einer kommenden Grossmacht zu stehen, von der Bevölkerungszahl überholt Indien demnächst China als Nummer 1, man muss sehen, wie Indien dies wirtschaftlich verkraftet.

In den Grünanlagen „ruhen“ um die Mittagszeit die Beamten – „Parasiten“ nennt sie unser Führer, der sich sichtlich erregt, dass nach 14.00 Uhr noch immer viele Beamte im Gras schlafen oder Karten spielen. Ich dachte mir im stillen: Sei doch froh, schlafende Beamte machen keine unnötigen Gesetze!

Während des Mittagsessen in einem sehr populären indischen Restaurant, erfahren wir einiges über das moderne Indien aus seiner Sicht. Er ist stolz auf die grösste Demokratie der Welt, die vom System eine Mischung aus der englischen und amerikanischen Verfassung ist, mit einer mächtigen Zentralregierung und 33 Provinzen. Die offizielle Sprache ist zwar Hindu, tatsächlich aber in weiten Teilen Englisch, da ansonsten die unzähligen Sprachen und Dialekte zu einer babylonischen Sprachverwirrung geführt hätten.

Täglich kommen aus Bangladesch 400 Menschen neu in Delhi an, in der Hoffnung auf Arbeit und meist auf der Strasse endend, unter erbärmlichen Verhältnissen lebend. Wir haben gelesen, dass Indien insgesamt täglich um 2000 Menschen wächst, dies kann auch eine stürmische wirtschaftliche Entwicklung kaum ausgleichen. Organisierte und spontane Bettelei, Diebstahl und Kleinkriminalität und natürlich Prostitution mit einer riesigen Aidsproblematik sind unausweichlich.

Die Belästigung von uns Touristen auf der Strasse hält sich trotz allem in Grenzen, es gibt viele, vor allem islamisch geprägte, Länder, wo wir alles viel aggressiver erlebten z.B. in Marokko.

Vikram gestattet uns auch einen Blick in sein Privatleben. Er ist 32 und heiratete selbstverständlich innerhalb seiner Kaste eine wesentlich jüngere Frau, die von seinem Grossvater schon vor langer Zeit ausgesucht wurde. Er sah seine Frau nur 3 mal vor der Ehe, leider ist seine Ehe katastrophal, keine Liebe, kein Sex – die Scheidung ist teuer, wenn sie vom Mann ausgeht. Die neuen Gesetze bringen zwar die Gleichberechtigung, scheinen aber den Mann zu ruinieren, wenn er sich scheiden lässt. Vikram hält sich offensichtlich als Reiseleiter schadlos, Angebote bekommt er von westlicher, weiblicher Seite genügend – Kamasutra lässt grüssen. Lächelnd verrät er uns, dass er als Reiseleiter sich immer ins Zimmer der Touristinnen einladen lassen muss, niemals umgekehrt, um anschliessenden Anschuldigungen auf Belästigung etc. zu entgehen – ein interessanter Aspekt des männlichen Selbstschutze in einer Zeit, in der westliche Touristinnen bewusst nach Abenteuern suchen.

Den Heiligen Abend verbringen wir in unserem traditionellen, glanzvollen Hotel, das „Spice Route“ gehört zu den besten Restaurants der Stadt und verwöhnt uns mit einem Weihnachtsmenu quer durch die Küche Asiens. Dass uns dann noch ein indischer Santa Claus begrüsst und wir anschliessend als Zaungäste einen Empfang der Oberschicht im Ballsaal beobachten können – die Herren offiziell westlich, die Damen traditionell indisch – runden diesen exotischen 24.12.2004 ab. Der Empfang endet mit einer Knallerei, wie bei uns an Sylvester – andere Länder, andere Sitten.

3. Tag, Merry Christmas ( 25.12.2004)

Nach einem ausgedehnten Frühstück treffen wir Sabrina, die in der Nacht als Flugbegleiterin der LH in Delhi ankam und sich begeistert unserem „Kulturprogramm“ anschliesst.

Der Vormittag ist wieder neblig und kühl, was um diese Jahreszeit normal ist, uns aber von der Reiseagentur nicht gesagt wurde. Mühsam kämpft sich gegen Mittag die Sonne durch, verschönert die Szenerie und wärmt die unterkühlten Gäste.

Vikram führt uns als erstes in die Freitagsmoschee, die Jami Masjid. Die riesige Moschee stammt aus dem Jahr 1656 und empfängt uns mit einer mächtigen Sandsteintreppe, die hinauf zu einem der imposanten

4 Eingangstore führt. Im riesigen Innenhof fallen zunächst weisse Linien auf, die sich als Orientierungshilfen für die Sitzplätze der Gläubigen zum Fest am Ende des Ramadan entpuppen – insgesamt sitzen dann 35.000 Gläubige in der Moschee, hinzu kommen weitere 80.000 in unmittelbarer Umgebung der Moschee, die das Ende der Fastenzeit feiern. Die Moschee besteht aus dem Hauptgebetsraum, der von einer Kuppel aus schwarzem und weissem Marmor gekrönt wird, sowie vielen Nebenräumen und 2 Minaretts, die sich zu einem eindrucksvollen Ensemble indo-islamischer Baukunst fügen.

Die Moschee liegt am Rande von Old Delhi, der traditionellen Altstadt, die 1638 begonnen wurde und weitgehend aus breiteren Einkaufsstrassen und verwinkelten Basaren zu bestehen scheint. Wir mieten 2 Fahrradrikschas und stürzen uns ins chaotische Verkehrsgeschehen. In den engen Gassen mit einem schier undurchdringlichen Gewirr an Fahr- und Motorrädern, Rikschas und Handkarren kommen wir nur im Schritttempo voran – wenn überhaupt. Zum Lärm der Hupen und Klingeln, Schreien der Händler und Musik aus überdimensionalen Lautsprechern kommen Gerüche von Garküchen, Gewürzständen, Parfumläden und dem Gestank von Abfall und Abgasen – vielfältige visuelle Eindrücke von Händlern, Handwerkern, Kunden und Passanten ergeben eine bunte, exotische, unvergessliche Melange aus Arbeit, Essen, Vergnügen, Reichtum, Armut und Kampf ums nackte Überleben.

Das Angenehme bei dieser Erkundung von Old Delhi ist erneut, dass trotz des chaotischen, stressigen Geschehens keine Bedrohung oder Aggressivität spürbar ist – vielmehr sind die Menschen im Zweifel immer zu einem freundlichen Lächeln bereit. Als wir am Ende der Rundfahrt auf die Prachtstrasse Chandin Chonk stossen, ist es wie eine Rückkehr aus einer anderen, längst vergangene Zeit.

Als nächstes besuchen wir eine nationale Kultstätte, auf der M.Gandhi nach seiner Ermordung 1948 verbrannt wurde, Ray Ghat. Aus der Hektik der pulsierenden Millionenstadt kommend, steht man plötzlich in einer ruhigen, grünen Oase, in der nur eine schlichte, schwarze Marmorplatte und ein ewiges Licht an den charismatischen Vater des unabhängigen, modernen Indiens erinnert. Die Schlichtheit dieser Grabstätte symbolisiert das Leben Ghandis, das auch heute noch die Menschen fasziniert. Wir werden in Bombay erneut seinen Lebensweg kreuzen und dann etwas mehr über sein Leben und seine Ideale erfahren.

Vikram klärt uns in diesem Zusammenhang auf, dass im Hinduismus die Leichen verbrannt werden müssen und nur Söhne ihre Väter verbrennen und die Asche in den Ganges streuen dürfen, was die Sorge nach männlichen Nachkommen verständlicher macht.

Zum Abschluss unseres Delhibesuchs überrascht uns Vikram mit einem Programmpunkt, der nicht vorgesehen war. Er führt uns zu einem bekannten Sikh-Tempel (Sisganj Gurudwara), in dem einst ein Guru der Sikhs enthauptet wurde.

Der Sikhismus wurde im 15. Jahrhundert gegründet und glaubt nur an eine gestaltende Gottheit, im Gegensatz zum Hinduismus, der eine Vielzahl von Götter verehrt. Der Sikh ist an seinem Turban und seinen langen Haaren leicht zu erkennen.

Heute am Weihnachtssamstag ist dort ein grosser Andrang an Hindus und Sikhs, der uns das bisher farbenprächtigste Erlebnis beschert. In der Tempelanlage warteten die Gläubigen in langen Schlangen geduldig darauf, an einem hohen Würdeträger vorbeigehen zu können, der sie ab und zu mit einem Wedel zu segnen schien, tatsächlich aber hinter sich eine Spendenannahmestelle hatte, die sogar elektronische Spendenquittungen erstellte. Faszinierend waren für uns die edlen , majestätischen Köpfe der Männer mit ihren bunten Turbanen und die Frauen und Kinder in ihren vielfarbigen Landestrachten. Viele Gläubige sassen ruhig, in sich gekehrt auf dem Boden, andere standen erneut Schlange, um von zwei Gehilfen einen süssen Brei zu erhalten, der auf Blätter gelegt und dann andächtig verzehrt wurde – ein Ritual, das mich an unser Abendmahl erinnerte.

Wir schlossen den ereignisreichen Tag mit einem Besuch im Nationalmuseum ab, das indische Kunst aus der frühen Vorzeit bis heute präsentierte und interessante Vergleiche zog mit der kulturellen Entwicklung in China und Ägypten. In besonderer Erinnerung bleiben die wohlgeformten, vollbusigen weiblichen Skulpturen, nahezu aller Epochen, die eine starke erotische Ausstrahlung haben, sowie die filigranen Miniaturen, die spannende Geschichten aus den vergangenen Jahrhunderten erzählen und mit ihrer Ausdruckskraft, Farben- und Formenvielfalt den Betrachter fesseln und entzücken.

Am Abend im imperialen Hotel bei köstlicher indischer Küche, erinnerten wir uns an weitere Einblicke in das familiäre Leben des eher traditionellen Indiens, die uns Vikram im Laufe des Tages gegeben hatte.

Er stammt aus einer sehr traditionellen Familie, die die alten Traditionen auch heute hoch hält. Wie schon erwähnt, hatte er seine Frau nur 3 mal vor der Ehe gesehen und niemals allein. Die Tradition und Sitte verlangt, dass die Mädchen jungfräulich in die Ehe gehen, sie sind entsprechend prüde und unaufgeklärt. Andererseits erwarten Familie und Freunde, dass nach 9 Monaten ein Kind zur Welt kommt. Da Vikram seine „jungfräuliche Burg“ erst nach 11 Tagen stürmen konnte, kam sein Sohn mit entsprechender Verspätung zur Welt, was ihm viel Spott einbrachte.

Ein Mann ist in Indien gesellschaftlich ohne Heirat nicht „komplett“. Er muss also heiraten, wenn er voll anerkannt sein will – folgerichtig wurden die Mädchen in der Vergangenheit ausschließlich aufs Heiraten vorbereitet und gaben sofort nach der Heirat ihre Berufstätigkeit auf. Auffällig ist, dass die grazilen, schlanken, hübschen jungen Frauen nach Hochzeit und Geburt, gesellschaftlich toleriert, gewaltig an Gewicht zulegen – wir haben während der Reise kaum eine schlanke verheiratete Frau gesehen.

Vikram erklärte dieses deutlich sichtbare Phänomen damit, dass die jungen Frauen während der Schwangerschaften von den Müttern und Schwiegermüttern gemässtet werden, damit die Kinder gesund zur Welt kommen. Die kalorienhaltige indische Küche und das reine Hausfrauendasein tragen das Ihre dazu bei.

Noch ein Wort zu den Kasten: oberste Kaste sind die Brahmanen, dann kommen die Krieger, dann die Kaufleute, Künstler etc. und dann die Arbeiter. Einerseits wird noch immer stark innerhalb der eigenen Kasten geheiratet, andererseits spielt z.B. die Tatsache, Brahmane zu sein, keine grosse Bedeutung mehr, im beruflichen Fortkommen.

 

Der 4. Tag (26.12.) besteht zunächst aus einer 5 stündigen Autofahrt von Delhi nach Agra, auf einer der indischen Hauptverkehrswege, die vom Himalaya nach Calcutta führt. Entsprechend stark war der Verkehr, der uns zunächst die Haare zu Berge stehen liess.

Autofahren in Indien ist für den regelverliebten Deutschen zunächst ein äusserst stressiges Erlebnis, eine Art Abenteuerurlaub mit „Selbstmordzügen“. Der Linksverkehr besagt gar nichts, es wird links und rechts überholt, rote Ampeln sind dazu da, drüber zu fahren, es wird geschoben und gedrückt, die Hupe ersetzt den Blickkontakt, immer wieder kommen Fahrzeuge frontal auf der falschen Seite auf einen zu – aber, wie durch ein Wunder, es passiert nichts! In letzter Sekunde wird ausgewichen, gebremst, sogar Rücksicht genommen – es muss was mit der Religion zu tun haben: Leben und Leben lassen. Man sagte uns, zum Autofahren in Indien gehören gute Bremsen, eine laute Hupe und Gottvertrauen. Auf Letzteren habe ich vertraut, zumal der Sicherheitsgurt sich nicht schliessen liess und von mir nur als Attrappe umgelegt werden musste, weil es ansonsten 100 Rupien Strafe kosten würde. Hinzu kommen noch die vielen heiligen Kühe, die sich völlig ungeniert in den Verkehr einmischen und den Autofahrern ihre sturen eigenen Regeln aufzwingen.

Wie dem auch sei, wir hatten einen hervorragenden Fahrer, das nötige Glück und keinen Unfall. In den 14 Tagen haben wir 2 Unfälle gesehen, bei dieser Fahrweise wären in Europa ganze Landstriche entvölkert.

Die Fahrt nach Agra konfrontierte uns aber auch unbarmherzig mit der Überbevölkerung und Armut des Landes. Die Aussenbezirke von Delhi würde man in einer amerikanischen Grosstadt den Speckgürtel nennen, hier ist es der „Gürtel bittersten Elends“. Hunderttaussende, wahrscheinlich Millionen, leben hier auf der Strasse oder in irgendwie improvisierten Notunterkünften, ohne Wasser, Strom, Einkommen und ausreichende Nahrung. Wir haben schon viel Elend in der 3. Welt gesehen, aber Indien übertrifft alles – die unübersehbaren Massen an chancen- und hoffnungslosen, entwurzelten Menschen deprimiert uns gewaltig.

Wir wollten bei unserer Reise eigentlich die Armut ausblenden, das war natürlich eine Illusion, man ist immer und überall damit konfrontiert – zumindest im Bereich der Städte.

Sobald man allerdings den Armutsgürtel der Städte verlässt, ändert sich das Bild. Dies galt im Nachhinein für die ganze Reise, ist uns aber natürlich heute besonders angenehm aufgefallen.

Das flache Land wird grüner, farbiger, alles wirkt entspannter und weniger übervölkert, die sichtbare Armut am Strassenrand verschwindet, dafür durchqueren wir Dörfer und Marktflecken, wo am frühen Morgen einerseits ein geschäftiges Treiben herrscht, andererseits die Männer in Gruppen diskutierend zusammenhocken und Tee trinken. Wir überholen von Kamelen gezogene, völlig überladene Karren, weichen den gemütlich über die Strasse schlurfenden Kühen, Ziegen und Schweinen aus, die als lebende Müllschlucker wirken, bedauern die Ochsen, die im Gegensatz zu den Kühen arbeiten müssen, staunen über die vielen Wasserbüffel, die nahezu vor jedem Haus liegen und stehen plötzlich in einer Schlange mit gewaltigen, bunt geschmückten Trucks – irgendwelche Strassengebühren werden fällig. Hierbei herrscht korrupte, polizeiliche Willkür, wie unser Fahrer knurrt. Da er Fremde als Zeugen hat, bleibt er weitgehend verschont. Die wartende Autoschlange dient als Kulisse für Schlangenbeschwörer, dressierte Affen und Bären werden vorgeführt, fliegende Händler verkaufen abenteuerliche Speisen und Getränke – alles in entspannter, nicht aggressiver Form. Bei dieser langen Autofahrt sehen wir viel vom täglichen Leben auf dem Land, das sich weitgehend im Freien abspielt. Das dörfliche Leben ist sicher auch mühsam und hart, aber das intakte soziale Netzwerk hinterlässt keine entwurzelten, verzweifelten Menschen, wie in den Städten.

Wir erreichen und durchqueren Agra, wo es wieder brodelt vor Verkehr mit Menschenmassen und Tieren, orange gekleidete heilige Männer geben dem exotische Stadtbild eine zusätzliche Note.

Das Oberoi Amarvilas ist eine Oase der Ruhe und Besinnlichkeit Der Nebel, der auch hier um diese Jahreszeit sehr verbreitet ist, ist zum Glück verschwunden, so dass wir entzückt vom Balkon unseres Zimmers einen ersten Blick auf den ca. 500 m entfernten Taj Mahal werfen.

Der Besuch dieses Weltwunders an Schönheit und Harmonie stellt natürlich einen Höhepunkt der Reise dar – wie für 10.000 weitere Besucher an diesem sonnigen Sonntag.

Das Mausoleum für die Lieblingsfrau des Mogulkaisers Sha Jahan wird mit den Begriffen „Gebet, Vision, Traum, Gedicht und Wunder“ beschrieben. Jeder Begriff trifft zu, das grossartige Bauwerk rührt alle Sinne, andächtiges Staunen macht sich breit – der Taj Mahal soll auch ein Abbild des islamischen Paradieses sein. Es wimmelt zwar vor Besuchern, dies wirkt aber nicht störend, weil alles sehr ruhig freundlich und entspannt abläuft und die vielfarbigen Festtagsgewänder einen wunderbaren Kontrast zum makellosen Weiss des Marmors darstellen.

Gewitzte Gärtner haben sich auf uns Photografen spezialisiert und zeigen uns für 100 Rupien immer neue „beste“ Standorte von der Gartenseite aus auf diesen ebenmässigen Bau, der 57 m breit , hoch und lang ist, von einer riesigen Kuppel überragt und von 4 Minaretten bewacht wird.

Wir können uns kaum trennen, zumal die untergehende Sonne das Bauwerk in ständig sich verändernden Farbnuancen zeigt.

Der 5.Tag (27.12.) beginnt mit einem sorgenvollen Blick aus dem Fenster: kein Nebel, wolkenloser Himmel, ein Glücksfall, wie sich noch zeigen sollte.

Der Taj Mahal zeigt sich an diesem Morgen von seiner spirituellen, kontemplativen Seite. Wir sind um 8 Uhr vor Ort und erleben das Mausoleum fast menschenleer, es ist im Vergleich zu gestern „peaceful, not coulorful“. Wir geniessen die Ruhe und feierliche Atmosphäre, die Wasserspiegelungen im Licht der Morgensonne sind unvergesslich. Wir erleben Augenblicke der vollkommenen Harmonie.

Im relativ schlichten Inneren stehen wir zunächst vor dem Sarkopharg von Muntaz Mahal , der von Sha Jahan über alles geliebten Lieblingsfrau, die bei der Geburt ihres 14. Kindes starb und der er, trotz seines umfangreichen Harems, dieses Denkmal für die Ewigkeit baute.

Die schlichten Formen des Inneren werden durch filigrane Ausschmückungen der Bögen und Säulen mit Einlegearbeiten aus Halbedelsteinen, die überwiegend Blumenmotive darstellen, veredelt – passend zum den Taj Mahal umgebenden Paradiesgarten. Beim abschliessenden morgendlichen Rundgang leuchten die aus Sandstein gebauten seitlich angeordneten Gebäude in leuchtendem Rot und stellen so einen unvergesslichen Kontrast zum Weiss des Marmors dar. Es fällt sehr schwer, sich an diesem Morgen von diesem mystischen Platz zu trennen…

Unser Besichtigungsprogramm mit einem sehr netten und belesenen lokalen Führer sieht zunächst eine 1 stündige Autofahrt zur verlassenen Stadt Falepur Sikri vor. Die Fahrt dahin ist äusserst malerisch, weil wir mehrere Ortschaften durchqueren, die uns weitere Einblicke in das dörfliche Leben erlauben und den Photografen zur Selbstdisziplin zwingen bei der Vielzahl der Motive.

Die verlassene Stadt ist ein weiterer Höhepunkt dieses Tages. Aufgrund einer Prophezeiung im Jahr 1568, dass dem Herrscher Akbar ein Sohn geboren würde, wenn er diese Stadt im Bergland erbaut, entstand dieses Wunderwerk damaliger Baukunst. Einst von einer 11 km langen Mauer umgeben, sind die Bauwerke erstaunlich gut erhalten und bestechen durch ihre Vielfalt und Feingliedrigkeit. Die Leichtigkeit der mehrstöckigen Gebäude entspringt den Säulenhallen auf allen Stockwerken, die gewählt wurden, damit die Herrschaften in der Sommerhitze die Kühle der Winde geniessen konnten. In phantastischer Symbiose ergänzen sich hier wieder islamische und hinduistische Baustile, ergänzt durch europäische Einflüsse, durch Frauen aus dem Harem, die westlicher Abstammung waren. Die ganze Pracht wurde nur 15 Jahre bewohnt und dann wegen Wassermangels wieder aufgegeben – welche Verschwendung und welches Glück für uns. Dass allerdings die englische Besatzungssoldaten das schmückende Gold und die Edelsteine buchstäblich von den Wänden kratzten, wurmt die Inder noch heute.

Dieser tolle Tag sah aber noch einen weiteren Höhepunkt für uns vor, den Besuch des Roten Forts in Agra.

Es liegt dem Taj Mahal gegenüber auf der anderen Flussseite und eröffnet einen letzten spektakulären Blick auf das Grabmal. Das rote Fort braucht sich allerdings nicht zu verstecken: es ist eine riesige, sandsteinfarbene Festungsanlage aus der Zeit Akbars, die durch gewaltige Mauern und mit Wasser und Krokodilen gefüllte Gräben praktisch uneinnehmbar war. Es würde zu weit führen, die Weitläufigkeit und Schönheit dieser Anlage zu beschreiben, zumal unser Aufnahmevermögen langsam erschöpft war. Es traf sich gut, dass die Anlage inzwischen von Affen erobert und bevölkert wurde, die mit ihren Faxen die volle Aufmerksamkeit der Besucher auf sich ziehen und somit ein Teil der heiteren, friedlichen Stimmung sind, trotz kriegerischer Vergangenheit.

Zum Besuch in Agra gehört natürlich auch die mehr oder weniger dezente Führung zu Touristenfallen, wo Handwerkliches in vielfältigster Form angeboten wird. Eindrucksvoll war allerdings der Besuch bei einer Juweliersfamilie, obwohl wir nichts kauften. Der Sammlerstolz öffnete uns trotzdem einen Blick in die private Schatzkammer, in der über Jahrhunderte erworbener Reichtum präsentiert wurde, vor allem mit Edelsteinen geschmückte Wandbehänge von unermesslichem Wert – jedes Museum würde sich über den Besitz glücklich schätzen.

 

6.Tag (28.12.)

Dichtester Nebel führte uns vor Augen, welch grosses Glück wir in den letzten beiden Tagen gehabt haben. Die Autofahrt ohne Sicht zum 50 km entfernten Bahnhof, war alles andere als lustig. Es wird auch ohne Sicht überholt, es geht nach Gehör! Immer wieder kamen Fahrzeuge aus dem Nebel frontal auf uns zu, in letzter Sekunde wird ausgewichen, manchmal sogar die Strasse kurzzeitig verlassen. Unser sehr guter Fahrer lächelte beruhigend und spielte virtuos mit Bremse, Gas und Hupe und notfalls auch mit einer Sirene, die nur VIP`s vorbehalten ist und diesen Privilegierten freie Bahn schaffen sollte. Ob diese Sirene legal war, weiss ich nicht, wir haben auf jeden Fall überlebt.

Unser heutiges Ziel ist der Nationalpark Ranthabhore. Da die Strassen dahin schlecht sind, fahren wir den grössten Teil der Strecke mit dem Zug, unser Fahrer trifft uns im Park wieder.

Die Zugfahrt ist ein Erlebnis eigener Art. Zunächst hat der Zug 2 Stunden Verspätung wegen Nebels (!). Auf dem Bahnsteig werden wir zwar von einem jungen, sehr intelligenten regionalen Reiseleiter betreut, er kann aber auch nicht verhindern, dass wir ständig von Kindern und vor allem von Poliokrüppeln belästigt werden. Letztere zelebrieren ihre Behinderung so, dass einen der Ekel würgt..

Im völlig überfüllten Zug hatten wir zwar erste Klasse gebucht, das Abteil war aber nur durch einen Vorhang von der drangvollen Enge des Ganges getrennt. Das Abteil für 4 Personen besteht aus doppelstöckigen Liegen, auf denen man die riesigen indischen Entfernungen liegend zurücklegt.

Auf dem Gang und in den Nachbarabteilen wird im Schneidersitz das Essen zubereitet, neugierige, meist freundliche Gesichter teilen den trennenden Vorhang, betrachten oder fragen uns meist Unverständliches.

Wir sind nicht unglücklich, als wir dann endlich am Zielbahnhof ankommen und dort von einem weiteren Reiseleiter begrüsst werden. Unser Gepäck wird von Trägern aufgenommen und verschwindet, auf dem Kopf balancierend, in der Menschenmenge. Wie durch ein Wunder findet sich alles wieder im komfortablen Hotelauto. Allerdings wurden wieder fordernd alle zur Verfügung stehenden Hände für Trinkgeld aufgehalten, obwohl der Transfer Sache der Reiseagentur ist.

Das Thema Trinkgeld ist ein paar Worte wert und geht uns gewaltig auf die Nerven. jedermann erwartet für seine ganz normalen Dienstleistungen auch noch Trinkgeld und zwar frech und unverblümt. Unser Fahrer hat uns z.B. gleich am ersten Tag unaufgefordert aufgeklärt, dass er 1000 Rupien pro Tag erwarte, wenn wir zufrieden seien. Wir haben dieses Thema ausführlich mit unserem jungen Führer diskutiert, während wir auf den Zug warteten. Er war entsetzt über diese Forderung und bezeichnete sie als lächerlich. Allerdings haben das unüberlegte Mitleid und die viel zu hohen Trinkgelder mancher Touristen dieses Verhalten verschuldet und eine ungerechtfertigte Erwartungshaltung erweckt.

Wir haben zwar beschlossen, dieses Spiel auf dem Rest der Reise nicht mehr mitzuspielen – ich bin aber sicher, dass wir dem Dauerstress nicht gewachsen sein werden.

Wohltuend hebt sich hier die Politik der Oberoihotels ab, die ihre Gäste ausdrücklich bitten, keine individuellen Trinkgelder zu geben, sondern am Ende des Aufenthalts einen Gesamtbetrag in eine Box zu tun, der an alle verteilt wird – wir geniessen diese Politik.

Unser Oberoi-Ressort am Rande des Nationalparks ist ein Traum und entschädigt für den Stress der Anreise. Es besteht aus 27 Luxuszelten, die über ein blumenreiches Parkgelände verteilt sind und jeden erdenklichen Luxus bieten. Auf einem Aussichtsturm geniessen wir den Sonnenuntergang in einer wilden, bewaldeten Berglandschaft, an deren Fusse unser Ressort liegt.

Das Abendessen findet romantisch am offenen Feuer in einem Innenhof unter freiem Himmel statt und zeigt, dass wir inzwischen in einer angenehmen, südlicheren Klimazone sind.

Der 7.Tag (29.12.) beginnt mit dem Wecken um 6.00 Uhr, da kurze Zeit später die erste Safari in den Nationalpark beginnt, der früher ein Jagdgebiet der Maharadjas war – speziell für die Tigerjagd. Wegen dieser indischen Königstiger kommen Touristen aus aller Welt hierher, weil angekündigt wird, dass man die Tiger auf freier Wildbahn beobachten könne.

Um es vorneweg zu sagen, das ganze ist ein genialer Marketingtrick. Der Park ist 1300 qkm gross, momentan werden 28 Tiger gezählt, die sich als Einzelgänger auf dieses riesige Gebiet verteilen.

Erschwerend kommt hinzu, dass in dieser Jahreszeit im ganzen Park genügend Wasser vorhanden ist, so dass die Tiger nicht wie im Sommer auf wenige Wasserstellen beschränkt sind. Wenn man dann noch bedenkt, dass in der Weihnachtszeit der Park von in – und ausländischen Besuchern förmlich überrannt wird und die Besuchermassen nur mit grossen, vielköpfig besetzten Fahrzeugen, die laut auf festen Wegen dahinrumpeln, bewältigt werden können, kann man sich vorstellen, dass die Chancen auf ein Erfolgserlebnis gleich null sind.

Wir sind natürlich enttäuscht, zumal wenn ich an den Tierreichtum von Botswana im letzten Frühjahr denke. Hier stossen wir im wesentlichen auf Affenhorden, Gazellen, Antilopen, Hirsche und Wildschweine, dafür fliegt man nicht um die halbe Welt. Die Landschaft ist schön, teilweise wildromantisch mit kleinen Seen, Schluchten und Bergrücken, mit alten Forts bestückt, verfallenen Jagdhäusern und kleinen Tempeln, als Zeichen eines früheren Wildreichtums. Die 2. Ausfahrt am späten Nachmittag könnte man sich sparen, zumal man auf ähnlichen Routen fährt, wie am Vormittag.

Im Nachhinein war dieser Abstecher den Zeit- und Geldaufwand nicht wert, zumal wir diese Zeit bei den nächsten Stationen Jaipur und Bombay hätten besser nutzen können. Positiv in Erinnerung bleibt die immense Freundlichkeit des Personals des Vanyavilas Ressorts und seine angenehm entspannte Atmosphäre.

Der 8.Tag (30.12.) beginnt mit einer 4 stündigen Autofahrt nach Jaipur, in das Herz Rajasthans. Die Fahrt ist der nun schon gewohnte Wahnsinn, was den Verkehr betrifft. Wir fahren durch eine sehr abwechslungsreiche Landschaft, geprägt von gelben Senfpflanzenfeldern, unterbrochen von roten Hügeln, auf denen grossflächig Chilli zum Trocknen ausgelegt wird. Das genügsame Dromedar wird hier zum beliebtesten Zugtier, die Dörfer machen einen relativ wohlhabenden Eindruck, die Zahl der Haustiere hat deutlich zugenommen. Immer mehr Frauen gehen hier verhüllt, was einerseits auf den Einfluss des Islam zurückzuführen ist, andererseits haben sich die Hindufrauen dieser noch sehr traditionellen Landbevölkerung diesem Brauch angeschlossen.

Jaipur, die rosafarbene Stadt, ist mit 3 Mio Einwohnern eine mittelgrosse Stadt in Indien. Geschichtlich hat sie allerdings eine grosse Bedeutung und ergänzt das „goldene Dreieck“ Delhi, Agra, Jaipur. Die Stadt hat ihren Charakter als Maharadschastadt weitgehend bewahrt. Wir besuchen zunächst das in Stein gehauene Observatorium, Jantar Mantar. Hier steht nicht nur der Welt grösste Sonnenuhr, 44 m lang, 27 m hoch, sondern wir bummeln durch eine Vielzahl steinerner Messinstrumente, halbkugelförmiger Marmorschalen und die Darstellungen der 12 Tierkreiszeichen, die den Astronomen exaktere Berechnungen der Himmelsbewegungen und Zeit erlaubten, als mit metallenen Instrumenten. Die obligatorischen Photos vor unseren Tierzeichen dürfen natürlich nicht fehlen.

Der Besuch im Stadtpalast und dem anschliessenden Museum vermittelt erneut eine Ahnung von der Prachtentfaltung der Maharadschas, wobei der hintere Teil des Palastes auch heute noch vom Maharadscha und seiner Familie bewohnt wird.

In Erinnerung bleiben die 4 wunderschön gestalteten Tore im Innenhof und ein 1,5 m hohes Silbergefäss, in dem heiliges Gangeswasser bei Auslandsreisen transportiert wurde.

Am Morgen des 9.Tages (31.12.) besuchen wir zunächst den berühmten Palast der Winde. Er besteht in weiten Teilen nur aus einer wunderschönen, mit vielen Erkern verzierten roten Fassade, die schmale Balustraden verbirgt, von denen aus der Harem durch vergitterte Fenster das öffentliche Leben, selbst unbeobachtet, beobachten konnte, quasi aus einem roten Käfig.

Anschliessend fahren wir nach Amber und besichtigen den dortigen Palast. In einem breiten Tal stossen wir plötzlich auf einen am Hang liegenden und sich malerisch im Wasser spiegelnden Palast, der wiederum von einem riesigen Fort bewacht wird. Als wir uns verwundert umschauen, sehen wir auf jedem Berg der Umgebung eine Befestigung, d.h. hier muss früher für die Herrscher einiges zu holen gewesen sein. Tatsächlich stellt sich heraus, dass durch dieses Tal eine berühmte Seidenstrasse führte, wo kräftig abkassiert werden konnte.

Den Palast erreichen wir untypisch per Jeep und umgehen damit den langen Stau bei den „Elefantentaxis“. Die Palastanlage liegt weit über dem Tal und zieht sich treppenförmig in 4 Höfen die Aravelli-Bergkette hinauf. Wir betreten die Anlage durch das Sonnentor und stossen auf eine Art Elefantenbahnhof, wo die bunt bemalten und geschmückten Riesen die Besucher abladen oder für den Rückweg wieder aufnehmen.

Die Palastanlage ist in ihrer Vielfalt, aber auch wegen ihrer spektakulären Lage ein weiterer Höhepunkt unserer Reise. Für uns besonders interessant sind natürlich die früher nur Eunuchen zugänglichen Frauengemächer. Der Maharadscha hatte 12 Frauen und Konkubinen. Um den ewigen Eifersüchteleien aus dem Weg zu gehen, liess er für jede separate Gemächer bauen, die er durch Geheimgänge unbemerkt aufsuchen konnte. Es war tröstlich, zu erfahren, dass für die hohen Herren früher auch nicht alles Gold war, was glänzte. Fast tat mir der Maharadscha ein bisschen leid, der da heimlich durch die Gänge schleichen musste.

Heute noch erhalten ist die wassergekühlte „Klimaanlage“, die in Verbindung mit der ausgeklügelten Nutzung des Windes für ein erträgliches Klima in der Sommerhitze sorgte. Die sehr kunstvoll gebauten und ausgeschmückten Vergnügungspaläste, die bunten Gartenanlagen und künstlichen Wasserbassins könnten Kulisse für ein Sittengemälde des Lebens im 16. Jahrhundert sein, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Den Rückweg legen wir auf dem schaukelnden Elefantenrücken zurück und geniessen den Ausblick auf die bergige, geschichtsträchtige Umgebung, wovon Ruinen, zerfallene Türme und Mauern auf allen umliegenden Bergrücken Zeitzeugen sind.

Da wir bisher weitgehend Moscheen besucht haben, verzichten wir zugunsten eines Hindutempels auf das Mittagessen. Die indische Götterwelt ist sehr verwirrend und umfasst Hunderte von Göttern, mal in Menschengestalt, mal als Tier oder halb Mensch, halb Tier. An der Spitze steht allerdings die Dreieinigkeit aus Brahma, dem Schöpfer, Vishnu, dem Bewahrer und Shiva, dem Zerstörer. Die Gläubigen haben alle Hände voll zu tun, ihre Götter durch Gebete und Gaben gewogen und milde zu stimmen.

Entsprechend geschäftig geht es auch in einem Hindutempel zu. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Nebeneinander von Heiligem und Profanem, hier wird geopfert, dort kurz einem Gott durch Berühren gehuldigt, die Glocken zu läuten, bedeutet die Götter aufmerksam zu machen oder die bösen Geister zu vertreiben, es wird meditiert, gemeinsam gesungen oder auch nur kurz zu einem Schwätzchen hereingeschaut – es ist auf jeden Fall eine freundliche Religion zum Anfassen, jeder ist jederzeit willkommen, feste Besuchszeiten, wie bei den christlichen Kirchen, gibt es hier nicht, jeder kommt, wenn er das Bedürfnis danach hat, der Tempel ist immer offen – das ist Kundenorientierung.

Ein kurzer Spaziergang durch den Basar und die Beobachtung des Verkehrs und bunten Treibens im Zentrum aus der höheren Warte eines weiteren Tempels runden diesen ereignisreichen 31.12.2005 ab. Der Silvesterabend findet für uns praktisch nicht statt. Da wir um halb fünf Uhr schon wieder aufstehen und zum Flughafen müssen, verschlafen wir einfach den Beginn des Neuen Jahres, zumal die geplanten Festlichkeiten wegen der Katastrophe im Süden und der restlichen asiatischen Welt abgesagt wurden.

Rückblickend waren 1,5 Tage für die interessante Stadt Jaipur einfach zu kurz, zumal sie berühmt ist für ihre Juweliere und Kunsthandwerker, die vergebens auf uns warteten.

 

10. Tag Happy New Year

2005 beginnt mit einem Flug nach Udaipur, wo wir uns für 3 Tage Entspannung und Erholung vorgenommen hatten. Das dortige Oberoi Udaivilas entpuppt sich als weiteres Traumressort, im Stil eines alten Palastes mit modernem Komfort, mit privatem Schwimmbad vor dem Zimmer und phantastischem Blick auf die Paläste und Zinnen der Altstadt. Nach der Hektik der letzen 10 Tage, kommen wir endlich dazu, zu entspannen, die vielfältigen Eindrücke zu ordnen und die Puzzlesteine aus Gesehenem, Gehörtem, Geschmecktem, Gedachtem, Eingebildetem und Erlebtem zu versuchen, zu einem subjektiven und vorläufigen Bild Indiens zu ordnen. Dies gelingt natürlich nur bedingt, aber immerhin finden wir die Zeit, einiges nachzulesen, um manches im Nachhinein besser zu verstehen.

Eine grosse Enttäuschung bescherte uns Udaipur allerdings gleich zu Beginn. Wir hielten Ausschau nach dem berühmten Picholasee, der eigentlich direkt vor unserm Hotel hätte liegen müssen und dessen Schönheit jeden Prospekt ziert. Kein See, weit und breit, statt dessen grünes Land, auf dem Kinder Cricket spielen und Herden von heiligen Kühen weiden. Eine 5 Jahre dauernde Trockenheit hat den See, nebst kleinen Nachbarseen komplett ausgetrocknet – ein touristischer Supergau. Das weltberühmte Lake Palace Hotel, auf einer Insel direkt im See gelegen, in dem unser Freund Walter Bartholomie vor Jahren eine begeisterte Woche verbrachte, liegt inzwischen buchstäblich auf dem Trockenen. Zum Glück haben wir nicht dort gebucht, sondern finden in unserer Anlage Wasser im Überfluss, mit mehreren Schwimmbädern und Wasserlandschaften, so dass sich unser Blick sehr schnell von der enttäuschenden Realität draussen, zur vollendeten Illusion nach innen kehrt.

Wir konnten es dann doch nicht lassen, am späten Nachmittag das Besichtigungsangebot der Altstadt von Udaipur wahrzunehmen, die uns den ganzen Tag auf der anderen Seite des Trockensees in der Sonne zuzulächeln schien.

Wir besuchen zunächst den wunderschönen Jagdish –Tempel, ein Vishnuheiligtum. Der Tempel ist übersäht mit einer Vielzahl von Figurenfriesen, die spannende Geschichten erzählen, die Frauenfiguren ,wie immer, sehr erotisch dargestellt.. Am Eingang begrüsst uns unser Lieblingsgott Garuda, halb Elefant, halb Mensch, das Reittier Vishnus. Auf den Stufen sitzen exotisch bemalte und bekleidete Alte, vermutlich auf fotografierende Touristen wartend.

Der gigantische Stadtpalast wurde über 6 Jahrhunderte immer wieder erweitert, entsprechen ist sein äusserliches Stilgemisch und die teilweise kitschig wirkende Inneneinrichtung – er ist ein unvergleichliches Gesamtkunstwerk. Der angekündigte grossartige Blick auf den Picholasee entfällt, das Lake Palace gleicht einem Luxushotel auf einer Spielwiese. Das Oberoi am anderen Seeufer wirkt wie eine Fata Morgana in der Wüste. Gerne kehren wir zu dieser realen Fata Morgana zurück und verlassen unsere Luxusherberge nur noch ungern.

 

11.Tag (2.1.2005)

Ausschlafen; gemütlich frühstücken, schwimmen, lesen, faul in der warmen Sonne liegen, im Spa sich von den kräftigen Händen einer zierlichen Thai verwöhnen lassen – jetzt fehlt nur noch der Harem zum Maharadschadasein.

Am Pool habe ich endlich Zeit, meine Notizen zu ordnen, die ich mir bei den vielen Gesprächen mit unterschiedlichsten Menschen aus allen Gesellschaftsschichten gemacht habe. Insofern ergänze ich im Folgenden meinen Reisebericht um weitere Informationen zur Rubrik „Landeskunde“.

Zunächst noch ein Nachtrag zum Thema „Mensch und Tier“. Ich kenne kein anderes Land, wo die Menschen so rücksichts- und liebevoll zu Tieren sind. Dies hängt natürlich damit zusammen, dass viele heilig sind, wie Tauben, Kühe etc. Es entspringt aber wohl auch der Religion und Mentalität des „Leben und Lebenlassens“, mit Tieren zu leben und sich um sie zu kümmern. Entsprechend unbefangen nehmen die Haustiere auch am Verkehr teil, ohne Gefahr zu laufen, überfahren zu werden. Es gibt allerdings auch Tiere, die das Böse repräsentieren, dazu gehören interessanterweise Katzen, denen wir auf der gesamten Reise nicht begegneten. Elefant ist das Sinnbild für Glück, Kamel für Liebe und Pferd für Stärke.

Damit wird auch verständlicher, warum viele Götter Tiere oder halb Mensch, halb Tier sind, wie Hanuman, der Affengott oder Ganesha, der elefantenköpfige Sohn Shivas.

Noch ein paar Sätze zur Familienplanung: In den traditionellen Gegenden und Schichten ist es auch heute noch das einzige Lebensziel junger Frauen zu heiraten. Nach der Heirat geben sie den Beruf auf, bekommen mindestens 2-3 Kinder und gehen leider gewichtsmässig völlig aus der Facon.

Wie schon erwähnt, haben wir auf der Reise fast nur mollige und oft sogar äusserst dicke verheiratete Frauen gesehen.

Allerdings scheint sich bei der jungen Frauengeneration aus gutem Hause, mit denen wir unterwegs sprachen, einiges zu verändern. Sie streben nach einer guten Schul- und Ausbildung und nach interessanten Berufen und sind nicht mehr so ohne weiteres bereit, wie ihre Mütter, sich den Traditionen unterzuordnen. Sie suchen sich ihre Männer selbst und lassen die Eltern dann das Ganze dem Schein nach arrangieren, wie uns eine Trainee im Oberoi lächelnd anvertraut. Allerdings hat der Wahrsager noch immer einen grossen Einfluss, er wird von den Eltern ohne Ausnahme befragt, ob die Beziehung Glück verspricht. Bei einem „Nein“ wird es schwer für die Verliebten.

Das Erziehungs- und Schulsystem ist äusserst kompetitiv., d.h. ständige Prüfungen in allen Schulstufen sind normal, mit deren Hilfe gnadenlos ausgesiebt wird. Um die Studienplätze in begehrten Fächern kämpfen Hunderttausende, auf einen Studienplatz kommen bis zu 1000 Bewerber. Hier wächst, genau wie in China, eine Elite heran, die uns bequemen Europäern noch das Fürchten lehren wird.

Die Bevölkerungsexplosion macht allerdings viele Anstrengungen zunichte. Wo immer wir hinkommen, alle Verkehrsmittel sind überfüllt, die Züge, Omnibusse, Pkws und LKW`s, Tuck-Tucks etc. sind chronisch völlig überladen, ein Wunder, dass kaum etwas passiert. Der Kampf um eine Geburtenkontrolle und gegen Aids spiegelt sich an vielen Plakatwänden wieder, scheint aber nicht erfolgreich. Wen wundert`s, wenn z.B. der Erziehungsminister selbst 7 Kinder hat und die Oberschicht generell mit schlechtem Beispiel voran geht.

Am Nachmittag raffen wir uns nochmals zu einer touristischen Tat auf und besichtigen den Monsunpalast, der malerisch in ca. 1000 m Höhe die Stadt überragt und phantastische Ausblicke auf Stadt und umliegendes Gebirge (das älteste der Welt) bietet. Züchtige Liebespaare erwarten den Sonnenuntergang, wir besuchen statt dessen ein berühmtes „Genathop“, wie die Verbrennungsstätten und Friedhöfe der Maharani genannt werden. Gegen ein kleines Trinkgeld sind wir die einzigen Besucher an diesem mystischen Ort: kleine und grosse tempelartige Grabmäler, versehen mit Erinnerungsstücken an die Toten, voll Patina der Jahrhunderte, eingehüllt vom milden Abendlicht und einer in Indien sehr seltenen Ruhe und Stille, erinnern sie an Mächtige aus längst vergangenen Zeiten – die trotz des Glaubens an eine Wiedergeburt auf steinerne Beweise ihres früheren Daseins nicht verzichten wollten.

Zu unserer spirituellen Stimmung passt dann ein unglaublicher Zufall: in einem „Silberpalast“, einer Touristenfalle, treffen wir Herrn und Frau K., mit denen wir vor einem Jahr in Ägypten unterwegs waren und die wir seither nie mehr gesehen hatten.

Wir waren in der Stimmung, nicht an Zufälle zu glauben und versprachen uns gegenseitig, den Kontakt wieder aufzunehmen.

 

12. Tag (3.1.2005)

Der Tag beginnt mit einer einstündigen Ganzkörpermassage – ein öliges und sehr entspannendes Vergnügen.

Wir leisten uns den ersten und einzigen faulen Tag dieser Reise, verzichten auf weitere Besichtigungen und geniessen die Annehmlichkeiten des Hotels.

An dieser Stelle ist es angebracht, das hohe Lied der Freundlichkeit und extremen Kundenfreundlichkeit der Oberoi-Hotels zu singen. Nicht nur, dass wir überall auf ein freundliches Lächeln stossen – selbst die Gärtner unterbrechen ihre Arbeit, um uns zu grüssen – noch verblüffender ist, dass wir überall mit unserem Namen angesprochen werden und uns das Leben, wo immer es geht, leicht gemacht wird. Das Einchecken erfolgt nicht in der Hektik des Empfang, sondern in Ruhe auf dem Zimmer, niemand erwartet Trinkgeld, um freundlich zu sein, vielmehr merkt man als Gast, dass es den jungen Leuten Spass macht, uns zu verwöhnen. Später erfahre ich, dass sich jeder Mitarbeiter bemüht, dem Gast ein „whow-Erlebnis“ zu bescheren, d.h. ihn durch eine nicht erwartete Dienstleistung zu verblüffen. Wir hatten mehrere dieser Erlebnisse, z.B. als uns am Neujahrsmorgen eine junge Mitarbeiterin, die uns am Abend bedient und die ganze Nacht gearbeitet hatte, kurz vor unserer Abreise um 5.00 Uhr morgens unaufgefordert Tee und Gebäck in unser Zelt bringt und uns Happy New Year wünscht. Ein weiteres „Whow“ erlebten wir bei einer Reklamation bezüglich eines Brotes, das ungewöhnlich schmeckte. Sofort kam der Koch an den Tisch, erläuterte die Brotbackkunst in Indien und bot uns eine „Brotprobe“ an, die wir genüsslich annahmen. Er setzte dem ganzen noch ein Glanzlicht auf: in unserem Zelt fanden wir vor der Abreise ein Päckchen, das alle Gewürze und den Brotteig vakuumverpackt enthielt, in einem Begleitbrief wünschte er uns eine gute Reise und viel Spass mit dem indischen Brot in Deutschland. Toll, der Koch hat für sein Oberoi mehr getan, als er sich vorstellen kann – die Werbung, die ich beim Erzählen dieser Geschichte mache, ist unbezahlbar!

Der 13. Tag (3.1.2005) beginnt mit einem frühen Flug nach Bombay. Die Stadt empfängt uns mit dem bisher grössten Supergau bezüglich des Verkehrs. Vom Flughafen zum Hotel benötigt man zu dieser frühen Stunde bis zu 2 Stunden, was uns erschreckt, da wir ja leider nur einen Tag in Bombay haben. Wir erreichen das berühmte TAJ – Hotel zum Glück schon nach einer Stunde und stehen staunend vor diesem imposanten Zeugnis viktorianischer Baukunst. Das Zimmer riecht zwar muffig, aber Tradition hat eben ihren Preis und die Aussicht auf das Gate of India und den Hafen lässt keine Enttäuschung aufkommen.

Wir wurden ausserdem durch Jasmin entschädigt, eine bildhübsche und gebildete Führerin, die uns auf charmante Art ihre Stadt näher brachte.

Wir fuhren zunächst durch das viktorianische Bombay, das von den Engländern gebaut und geprägt wurde. Begleitet von Doppeldeckerbussen, vorbei am mächtigen Bahnhof „Victoriaterminal“, wo täglich 4 Millionen Menschen abgefertigt werden, hat man für Sekunden ein „Deja Vue“ Erlebnis, London lässt grüssen.

Wir erfahren unterwegs, dass im Grossraum Bombay ca. 17 Millionen Menschen leben, 60% davon auf der Strasse oder in den schlimmsten Slums Indiens. Andererseits führt Bombay 40% des gesamten indischen Steueraufkommens ab – grössere Gegensätze sind nicht vorstellbar. Es leben hier mehr Dollarmillionäre als in New York, die Jugend lässt sich hier kaum noch von den alten Werten und Moralvorstellungen leiten.

Delhi ist die Regierungs- und Beamtenstadt, Bombay die Finanzmetropole mit einer Skyline wie Frankfurt, eine Stadt des Handels, der Mode und Musik, die Filmmetropole (Bollywood) Indiens mit einer blühenden IT-Industrie. Wir blenden zunächst die Armut aus und fahren auf den Millionärshügel der Stadt, mit einem herrlichen Blick auf die Bucht und den Sandstrand. Dann tauchen wir wieder in die Hektik der Altstadt ein, besuchen einen Jainystentempel, eine der vielen Abarten des Hinduismus und stossen dann auf die grösste öffentliche Wäscherei der Welt. Eine visuelle Sensation: Wäschewaschen ist Männersache, insofern sammeln Taussende von Männer in der Stadt die schmutzige Wäsche der Begüterten ein und waschen sie öffentlich auf einem riesigen Gelände auf traditionelle Weise, anschliessend flattert die Wäsche der Stadt bunt und nach Geschlechtern getrennt in Sonne und Wind.

Wir erfahren von Jasmin, dass sie Parsin ist, eine elitäre und begüterte Volksgruppe, die aus Persien stammt. Die Parsen bestatten ihre Toten in oben offenen Türmen und lassen sie von den Geiern fressen – der tote Mensch kehrt so in den natürlichen Kreislauf der Natur zurück. Den Reichtum der Parsen dokumentiert, dass ihre für uns unheimliche Bestattungsstätte im Umfeld des Millionärshügels liegt, von hohen Bäumen und Büschen vor neugierigen Blicken geschützt.

Der Besuch in Gandhis Wohnhaus rundet den interessanten Nachmittag in Bombay ab. Sehr anschaulich sind dort die Stationen seines Lebens nachgestellt, Besucher aus aller Welt huldigen hier einer der grossen Gestalten der Weltgeschichte. Wir erfahren, dass Gandhi das Schlüsselerlebnis seines Lebens in Durban, Südafrika, hatte, als er als Nichtweisser aus der ersten Klasse eines Zuges hinausgeworfen wurde, obwohl er als erfolgreicher Anwalt grosses Ansehen genoss. Die Darstellung und Schilderung seines Lebens erinnern uns daran, dass es immer wieder die Kraft einer Idee und die Überzeugungskraft und Unbeugsamkeit Einzelner sind, die die Welt verändern.

Jasmin führt uns dann noch in den Gewürzbasar, wo beide Frauen in ihrem Element sind und Barbara, gut beraten, den Gewürzvorrat für die indische Küche zuhause auffüllt.

Leider bleibt keine weitere Zeit für diese interessante Stadt, Barbara fliegt in der Nacht zurück nach Deutschland. Ich werde um 5.30 Uhr abgeholt um nach Calcutta zu fliegen, um dort meine Kenntnisse des indischen Teehandels zu vertiefen.

 

14.- 17. Tag (5.-8.1.2005)

Diese Businesstage in Calcutta sind geprägt von vielen Gesprächen und Meetings mit den indischen Geschäftspartner der Teekampagne, was natürlich unsere Indienreise aus einer ganz anderen Sichtweise abrundet. Die Oberschicht ist extrem geschäftstüchtig, aber auch gerissen und intrigant. Die Gastfreundschaft ist sprichwörtlich, ich durfte sie an den Abenden geniessen, was mir zwar weitere Erkenntnisse, aber leider auch weitere Gewichtszunahme bescherte. Die Abendeinladungen waren insofern anstrengend, als sie mit stundenlanger

Wein- / Whiskeytrinkerei begann und man erst sehr spät zum Essen kam und dann schon ziemlich angeheitert war, wenn man nicht aufpasste – aber auch das ist Teil eines gerissenen Rituals.

 

18. Tag (9.1.2005)

Der letzte Tag in Calcutta ist dem Sightseeing gewidmet, d.h. während wir in den vergangenen Tagen Calcutta nur durch die Autoscheiben erlebt hatten, wollten wir es an diesem Sonntag nochmals genauer wissen.

Der Verkehr ist an diesem Vormittag erträglich, wir sind mit Führer und Auto gut gerüstet und beginnen am Sonntagmorgen in den Tempeln, wie es sich gehört.

Im Kali-Tempel in Old Calcutta stossen wir auf ein Menschenaufkommen, da können unsere christlichen Kirchen nur davon träumen. In Mitten laut dröhnender Tempelmusik und zwischen Verkaufsständen aller Art warten Tausende von Menschen geduldig und diszipliniert in langen Schlangen, bepackt mit Gaben und Geschenken, um ihren jeweiligen Göttern zu huldigen. Es gilt vor allem Kali, die Göttin des Zorns, aber auch des Schutzes, milde zu stimmen. Es geht keineswegs andächtig, sondern laut und fröhlich zu, wobei wir uns den Besuch des Inneren ersparen, da uns das mindestens eine Stunde gekostet hätte – man stelle sich vor, vor unseren Kirchen stünden die Menschen 1 Stunde an, um überhaupt hinein zu kommen…

Wir wechseln statt dessen in einen relativ neuen Hindutempel im modernen Teil der Stadt, prompt geht es hier ruhig und fast andächtig zu. Dies scheint ein Tempel für die Mittel- und Oberklasse zu sein, nicht überfüllt, dafür sind die gut gekleideten Besucher voll konzentrierter Frömmigkeit, ohne Opfergaben – die Götter der Reichen haben diese wohl nicht nötig. Hier kann man auch sehr schön beobachten, dass beim Tempelbesuch immer der heilige Teil komplett umrundet werden muss, um den rituellen Kreis zu schliessen.

Sehr schöne bildliche Darstellungen zeigen Szenen aus dem Leben Shivas und zweier Familien mit 100 ungerechten und 9 gerechten Geschwistern.

Der 3. Tempel an diesem Morgen ist der Jain-Tempel, der in einem schönen Garten liegt und 1867 vom Hofjuwelier gestiftet wurde – entsprechend glitzert und spiegelt es auch innen und aussen, die Menschen sind hier wieder fröhlich und laut. In der Nachbaranlage findet eine Taufe statt, die Gemeinde sitzt gut gekleidet auf dem Boden und folgt singend einer uns unbekannten Liturgie.

Der Kontrast zu diesem angenehmen, spirituellen Vormittag hätte krasser nicht sein können, als wir auf meinen ausdrücklichen Wunsch zu den Verbrennungsstätten am Ganges kommen. Die Hindus verbrennen ihre Toten und streuen die Asche in den heiligen Fluss Ganges. Dieser Besuch am Ganges wurde unvermutet zur härtesten Nervenprobe der Reise.

Äusserlich waren die Verbrennungsstätten nicht als solche erkennbar. Es herrschte das übliche geschäftige und chaotische Treiben von Händlern, Kunden, Bettlern, Obdachlosen und in Gruppen zusammenstehenden Männern. Wir wussten, dass es bei den Verbrennungen eine 2 Klassengesellschaft gibt, die moderne Form eines Krematoriums für die Reicheren und die Selbstinszenierung der Armen. Beim Betreten des Krematoriums der Schock: überall liegen geschmückte Leichen auf Holzbetten, die männlichen Angehörigen stehen ohne sichtbare Emotion um ihre Toten herum und warten auf die nächste frei werdende elektrische Verbrennungsstätte. Getrauert wird vorher im privaten Familienkreis, hier erfüllen ausschliesslich die Männer die rituellen Pflichten.

Ich gebe zu, dass uns die düstere Szenerie schwer zu schaffen machte, wir fühlten uns entsprechend sehr unwohl und unangebracht. Die Verbrennungen 2. Klasse finden nebenan im Freien statt. Die männlichen Angehörigen schleppen das notwendige Brennholz bei, dann werden die Toten zunächst zum Ganges getragen und mit dem heiligen Wasser bespritzt und dann auf dem inzwischen aufgeschichteten Scheiterhaufen verbrannt und das gleich mehrfach nebeneinander. Die ältesten Söhne sammeln dann schliesslich die Asche aus einer Betonkuhle und streuen sie in den Ganges.

Das gesamte Umfeld der Verbrennungsstätten ist von grosser Armut geprägt und macht das Ganze für uns noch unerträglicher. Die Bahngleise des in unmittelbarer Nähe gelegenen Bahnhofs sind umlagert von Tausenden und wahrscheinlich Zehntausenden von Obdachlosen, die sich hier niedergelassen haben und auf irgendwelche Einkünfte und Almosen der Zugreisenden und Beerdigungsteilnehmer hoffen. Entsprechend wird der Ganges für jede Art der Hygiene genutzt, so dass sich nicht unterscheiden lässt, ob jemand gerade seine Morgentoilette erledigt oder ein Pilger das vorgeschriebene Bad im heiligen Ganges nimmt.

Dazwischen wird gekocht, gegessen, gehandelt, diskutiert, gebettelt, von den Toten Abschied genommen und sicher bei Nacht auch jede Menge Nachwuchs gezeugt.

Oh Calcutta…welche Gegensätze.

Wir fahren emotional erschöpft zurück ins Zentrum, wo die Reichtum ausstrahlenden Kolonialgebäude der Engländer das Stadtbild prägen und uns die vergangene Stunde wie einen Alptraum erscheinen lassen.

Zum Abschluss dieses letzten Besuchstages in Calcutta erholen wir uns, zusammen mit einer grossen Anzahl von fröhlichen Familien, an einem sonnigen und warmen „Winternachmittag“ auf den ausgedehnten Grünflächen um das Victoria Memorial. Calcutta bietet hier ein buntes, entspanntes Bild – hier wird Sport getrieben, gepicknickt oder einfach nur in der wärmenden Sonne gelegen. Die Probleme dieser Stadt scheinen weit weg und sind es für die Menschen hier vermutlich auch.

Calcutta wird von den Indern geliebt, es ist – trotz aller Probleme – eine sympathische Stadt, mit liebenswürdigen, gastfreundlichen Menschen, die uns sehr weltoffen begegnet sind – und sehr an uns Europäern interessiert waren, ( hoffentlich auch) jenseits der geschäftlichen Interessen.

Im Gegensatz zur Finanz- und Wirtschaftsmetropole Bombay und der Regierungs- und Verwaltungsstadt Neu Delhi schätzen die Inder Calcutta als geistiges Zentrum, als Universitäts- und Kunststadt. Insofern musste auch ich meine Erwartungen und vor allem Befürchtungen zum Teil revidieren, Calcutta ist interessanter, facettenreicher, als sein Negativimage, das wir im Westen im Kopf haben, erwarten liess.

Eine interessante Feststellung zum Schluss: Bei der Planung der Reise hatten wir die Illusion, die Armut und die hässlichen Seiten Indiens ausklammern zu können. Um so grösser war der Kulturschock am Anfang. Am Ende der Reise musste ich feststellen, dass eine unbewusste, zunehmend stärkere, selektive Wahrnehmung uns davor bewahrte, emotional völlig überfordert zu werden und damit die faszinierenden Seiten Indiens nicht mehr entsprechend würdigen und sogar geniessen zu können. Dies ist zwar nur ein kleiner Trost, aber er sorgt dafür, dass sich in der rückblickenden Bilanz der Reise, die Faszination von Schönheiten und Harmonie der Architektur und Kunst, sowie Freundlichkeit, Farbenpracht und beeindruckendem Überlebenswillen der Menschen und ihrer angenehmen Religiosität die Waage halten mit den schrecklichen Bildern von hoffnungsloser Armut, Elend, Überbevölkerung und allen seinen Folgeerscheinungen.

Diese Reise war wichtig und bleibt unvergesslich.

 

Esslingen 31.1.2005 Klaus Weidner

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Tagebuch einer Reise durch Indien
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Tagebuch einer Reise durch Indien
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Ein Reisebericht zur Faszination von Schönheiten und Harmonie der Architektur und Kunst, sowie Freundlichkeit, Farbenpracht Indiens
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